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Einbeziehung von Patienten und Öffentlichkeit

Als Patient, Angehöriger oder pflegende Person haben Sie eine einzigartige Perspektive der Auswirkungen, die eine Erkrankung auf Leben, Arbeit und Familie hat. Diese Erfahrung ist für Gesundheitsfachkräfte, Entscheidungsträger und Forscher äußerst wertvoll. Indem Sie für sich selbst sowie andere Personen sprechen, die die gleiche Erkrankung haben wie Sie, können Sie die Bereitstellung von zukünftigen Gesundheitsleistungen entscheidend mitgestalten. Dieser Prozess wird formell als „Patient and Public Involvement“, kurz PPI, bezeichnet. Das vorliegende Informationsblatt erläutert, was genau PPI ist, welche Vorteile sie für Patienten und Gesundheitsfachkräfte bietet und wie sich das Gesundheitswesen dadurch verändert.

Letztes Update 15/02/2024
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Was ist PPI?


Unter PPI verstehen wir die aktive Einbeziehung von Patienten in Gesundheitsfragen, nicht nur in Form einer Teilnahme an medizinischen Studien, in denen neue Behandlungsformen getestet werden oder in Form einer ärztlichen Behandlung, sondern als gleichwertige Partner. Dieser Prozess wird auch als „Einbeziehung von Patienten und Öffentlichkeit“ definiert. Manchmal werden auch die Begriffe „Dienstleistungsempfänger“ oder „Konsumenten“ anstatt „Patient und Öffentlichkeit“ verwendet. Es gibt verschiedene Gesundheitsbereiche, in denen PPI eine wichtige Rolle spielen kann. Zwei solcher Beispiel wären die Erstellung von Leitlinien sowie die medizinische Forschung:

Erstellung von Leitlinien

Leitlinien fassen die besten verfügbaren Informationen zusammen und beraten Gesundheitsfachkräfte darüber, wie Patienten mit spezifischen Erkrankungen am besten behandelt und gepflegt werden sollen. Expertengruppen untersuchen die neuesten wissenschaftlichen Beweise, um festzustellen, welche die besten Behandlungsformen auf Basis der Ergebnisse klinischer Studien darstellen. Allerdings wissen diese Experten unter Umständen nicht, was sich Patienten von der Behandlung erwarten, welche Therapien sie vorziehen, wie die Erkrankung ihr tägliches Leben beeinflusst, wie ihr Leben nach Meinung der Patienten und Pflegepersonen verbessert werden könnte oder welche unterschiedlichen Bedürfnisse verschiedene Patientengruppen haben (zum Beispiel hinsichtlich Geschlecht, Alter oder ethnischer Herkunft). Patienten und Pflegepersonen können auf verschiedene Art und Weise einbezogen werden, zum Beispiel:

  • indem sie Bereiche vorschlagen, für die Leitlinien erstellt werden sollten;
  • indem sie an einem Leitlinienausschuss oder einer Leitlinienkommission teilnehmen, die eine Leitlinie erstellt oder überwacht;
  • indem sie an Patientenfokusgruppen teilnehmen, die sich mit spezifischen Themen befassen, welche mit der Leitlinie in Verbindung stehen;
  • indem sie an Umfragen teilnehmen, die Teil der Forschungsaktivitäten als Basis der Entwicklung einer Leitlinie darstellen;
  • indem sie sicherstellen, dass eine Leitlinie sensibel formuliert wird;
  • indem sie mithelfen, leicht verständliche Versionen der endgültigen Fassung einer Leitlinie zu erstellen, damit für alle Patienten nachvollziehbar ist, welche Behandlungsformen sie erwarten können;
  • indem Sie mittels Patientennetzwerken und -organisationen das Bewusstsein für eine Leitlinie schärfen
Wissenschaftliche Forschung

Wissenschaftliche Forschungsaktivitäten und klinische Studien haben zum Ziel, Verfahren, Behandlungsformen, diagnostische Tests und Dienstleistungen zu untersuchen, die Patienten unterstützen sollen. Des Weiteren sollen sie das Verständnis dafür erhöhen, wie sich eine Krankheit entwickelt. Als Patient oder Pflegeperson können auch Sie gebeten werden, an einer klinischen Studie teilzunehmen. Allerdings gibt es auch andere Möglichkeiten, um Ihre einzigartige Perspektive einer Erkrankung und Ihre Erfahrung mit verschiedenen Behandlungen und Gesundheitsdienstleistungen einzubringen und dadurch einen Beitrag zur Gesundheitsforschung zu leisten. Als PPI-Vertreter können Sie auf verschiedene Art und Weise einbezogen werden, zum Beispiel:

  • indem Sie dabei helfen, wichtige Themen für die Forschung zu identifizieren;
  • indem Sie einen Beitrag im Frühstadium einer klinischen Studie leisten, um sicherzustellen, dass diese die Sorgen der Patienten direkt anspricht;
  • indem Sie Feedback zur Struktur und Auslegung einer klinischen Studie liefern und so sicherstellen, dass sie über ausreichende Relevanz und ethische Vertretbarkeit verfügt, um auch andere Patienten mit einzubeziehen;
  • indem Sie Ratschläge zur erfolgreichen Rekrutierung von Patienten und Studienteilnahme erteilen;
  • indem Sie die Ergebnisse der Forschungsstudie sowie deren Auswirkungen auf Patienten evaluieren und kommentieren;
  • indem Sie das Bewusstsein für die Ziele des Projekts sowie die Ergebnisse nach Abschluss schärfen.

Warum Einbeziehung?


Für Patienten und Pflegepersonen

Als Experten für Ihre Erkrankung sammeln Sie täglich Erfahrung damit, wie sich die Erkrankung selbst sowie die unterschiedlichen Behandlungen auf Ihr Leben auswirken. Wenn Patienten und Pflegepersonen eine aktivere Rolle bei Entscheidungen einnehmen, die das Gesundheitswesen betreffen, kann dies folgende Vorteile bringen:

  • Die Entwicklung von Gesundheitssystemen, die sich verstärkt auf den Patienten konzentrieren, was den Umgang mit Erkrankungen für alle Patienten verbessern könnte.
  • Die Möglichkeit für alle Patienten, ihre Erkrankung unabhängig zu bewältigen.
  • Ein verbessertes Verständnis von Erkrankungen und die Auswirkung von Behandlungen.
  • Eine klarere Erläuterung von Forschungsstudien und verbesserte Kommunikation der Ergebnisse in der Öffentlichkeit.
  • Die Möglichkeit für Pflegepersonen, die Menschen, die sie unterstützen, auch zu vertreten.
  • Erhöhtes Bewusstsein für eine Erkrankung quer durch alle Gesellschaftsschichten hinweg.

Patientenperspektive: Lina Buzermaniene ist litauische Patientenvertreterin im EU-Projekt U-BIOPRED. Ihre Rolle ist es, in der Ethikkommission mitzuwirken, welche die wissenschaftlichen Projektmitglieder dabei unterstützt, Faktoren zu bedenken, die sie ansonsten aus der Perspektive des Patienten vielleicht nicht mit einbezogen hätten. „Ich bin überzeugt davon, dass es äußerst wichtig für Patienten ist, in Angelegenheiten miteinbezogen zu werden, die ihre Gesundheit betreffen. Einer der Patienten im Projekt prägte den Satz „Nichts über uns ohne uns.“ Das sagt eigentlich alles: Patienten müssen in die Forschung miteinbezogen werden, weil diese direkte Auswirkungen auf Diagnose und Behandlung ihrer Erkrankung und die zukünftiger Patienten hat. Die Teilnahme an Forschungsprojekten gibt Patienten die Möglichkeit, etwas über klinische Studien zu erfahren und diese Information an andere Patienten weiterzugeben. Es war schwierig, in das Projekt einzusteigen, da ich nicht darüber Bescheid wusste, wie klinische Studien und medizinische Forschungsaktivitäten ablaufen, aber im Laufe der Zeit habe ich dazugelernt und bin selbstbewusster geworden. Die Einbeziehung von Patienten ist unabkömmlich für Transparenz, Verbreitung von Informationen und zielführendere Diskussionen darüber, wie Projektergebnisse verwendet werden sollen.“

Für Gesundheitsfachkräfte

PPI kann auch Gesundheitsfachkräften helfen. Zu Beispielen möglicher positiver Auswirkungen gehören:

  • Besseres Verständnis einer Erkrankung und der Erfahrung, mit der Erkrankung zu leben.
  • Patienten, die mit ihrer Behandlung zufriedener sind und mit erhöhter Wahrscheinlichkeit dabei bleiben werden. Dies optimiert die Nutzung von Ressourcen und hilft Gesundheitsfachkräften dabei, Patienten besser zu behandeln.
  • Erhöhte Relevanz von Forschungsaktivitäten, was bedeutet, dass die Ergebnisse für die Patienten tatsächlich nützlich sind.
  • Verbesserte Rekrutierung für Forschungsaktivitäten, da Studien von vornherein patientenfreundlich angelegt werden.
  • Verbesserte Verbreitung von Forschungsergebnissen über aktive Patientenorganisationen und -netzwerke.

Wie entwickelt sich PPI in Europa?


Die Gesundheitssysteme Europas zeigen verstärktes Interesse an PPI und bemühen sich zunehmend um die Einführung von PPI. Allerdings differiert der Grad der formellen Akzeptanz von PPI von Land zu Land beträchtlich. In der Folge sind zwei Beispiele von PPI in Europa angeführt.

Studie auf Regierungsebene In Großbritanien wurde im Jahr 1996 INVOLVE ins Leben gerufen, um die Teilnahme der Öffentlichkeit am National Health Service, an der öffentlichen Gesundheit und an Gesundheitsversorgung und Pflege zu unterstützen. Dabei handelt es sich um eines der wenigen Programme dieser Art weltweit, die von der öffentlichen Hand finanziert werden. Als nationales Beratungsgremium hat INVOLVE die Aufgabe, Expertise, Einsicht und Erfahrung im Bereich der öffentlichen Einbeziehung in Forschungsaktivitäten an einen Tisch zu bringen, mit dem Ziel, dieses Prinzip als essentiellen Teil des Prozesses voranzutreiben, mit dem Forschung identifiziert, priorisiert, geplant, durchgeführt und publiziert wird. Weitere Informationen finden Sie auf: www.involve.org.uk

Niederlande Fallstudie auf Patientenorganisationsebene Im Jahr 1997 begann die Lung Foundation Netherlands, Patienten in Forschungs- und Gesundheitspolitiken mit einzubeziehen. Im Jahr 2007 wurde ein eigenes Beratungsgremium ins Leben gerufen, das ausschließlich aus Patienten mit Lungenerkrankungen besteht. Das Gremium hilft dabei, Pflegestandards und -leitlinien zu erstellen, Übersetzungen dieser Leitlinien in einfacher verständlicher Sprache anzufertigen, sowie bei der Festlegung von Forschungsprioritäten, der Entwicklung von Kriterien zur Evaluierung von Forschungsaktivitäten aus Patientenperspektive, der Evaluierung von Forschungsvorschlägen und bei der Überwachung von laufenden Forschungsprojekten. Weiter Informationen finden Sie auf: www.longfonds.nl

Wie kann ich mehr zu PPI erfahren?


Es gibt mehrere Organisationen, die für die verstärkte Einbeziehung von Patienten arbeiten. Drei Beispiele sind in der Folge aufgelistet. Sie haben auch die Möglichkeit, Ihre nationalen Patientenorganisationen zu kontaktieren, um mehr darüber zu erfahren, wie Sie an lokalen Aktivitäten teilnehmen können.

Das European Patient Ambassador Programme

Gemeinsam mit NIHR CLAHRC for Leeds, York and Bradford und unter Mithilfe von Patienten und Fachkräften mit Expertise in Schlüsselbereichen hat die European Lung Foundation das European Patient Ambassador Programme ins Leben gerufen. Bei diesem Online-Kurs handelt es sich um ein Selbstlernprogramm, das Patienten und Pflegepersonen die essentiellen Fähigkeiten vermitteln soll, die für die Interaktion mit Gesundheitsfachkräften, Entscheidungsträgern, Forschern und Journalisten erforderlich sind. www.epaponline.eu

Die European Patients’ Academy on Therapeutic Innovation (EUPATI)

Mission der EUPATI ist es, weiterbildendes Material, Trainingsveranstaltungen und eine öffentlich zugängliche Online-Bibliothek zur Verfügung zu stellen, um Patientenvertreter und die Laienöffentlichkeit in alle Prozesse der medizinischen Weiterentwicklung zu involvieren. Sie konzentriert sich spezifisch auf klinische Forschung und ermöglicht es Patienten und Pflegepersonen, die Fähigkeiten zu erlernen, die für die Einbeziehung in klinische Studien, Arzneimittelsicherheit und -Entwicklung erforderlich sind.

European Patient Forum

Das European Patient Forum ist eine Dachorganisation, die mit Patientengruppen in den Bereichen öffentliche Gesundheit und Gesundheitsförderung in ganz Europa arbeitet. Seine Mission ist es, Patienten in die Entwicklung von Politik und Programmen, die ihr Leben beeinflussen, mit einzubeziehen, und sie auf diese Weise zu gleichwertigen Bürgern innerhalb der EU zu machen.

Das vorliegende Material wurde unter Mitwirkung von Pim de Boer erstellt, Klinischer Leiter für Patienteneinbindung sowie wissenschaftlicher Berater der Lung Foundation Netherlands, sowie unter Mitwirkung von Lina Buzermaniene, Patientenvertreterin für die European Federation of Allergy and Airway Diseases Patients Association (EFA) und Mitglied der Ethikkommission des U-BIOPRED-Projekts.